Auslaufsichere Trinklernbecher oder Trinkflaschen sind praktisch! Deshalb wurden sie ja auch erfunden: Ein Ingenieur hatte es satt, dass sein Kleinkind, Saft auf dem Teppich verschüttete und der Rest ist Geschichte. Aber sind Trinklernbecher auch sinnvoll? Und wenn ja, ab wann kann man sie nutzen? Welcher Trinklernbecher/ Trinklernflasche ist der Beste - mit oder ohne Strohalm, aus Edelstahl, zum Saugen, mit Ventil oder Membran?
Trinklernen mit oder ohne Trinklernbecher?
Als Sprachtherapeutin muss ich dir leider sagen: Trinklernhilfen sind für Eltern gut, auf Dauer aber NICHT für Kinder. Ein übermäßiger Gebrauch dieser Kinderbecher, insbesondere mit hartem Ausgießer oder Becher bei denen man saugen kann, gefährdet die myofunktionelle Entwicklung, die Mundmotorik, die Gesichtsform und das Sprechen.
Wie schluckt ein Baby beim Trinken lernen?
Während des ersten Lebensjahres schluckt ein Baby, in dem es die Zunge vor- und zurück schiebt. Man nennt dieses typische Säuglingsschlucken „infantiles Schlucken“. Normalerweise wird dieses Schluckmuster mit dem Abstillen von der Brust, dem Anbieten eines Bechers zum Trinken und der Gabe von fester Nahrung, Stück für Stück umgestellt.
Circa ab 12 Lebensmonaten entwickelt dein Baby ein ausgereiftes Schluckmuster ohne Zungenvorstoß, bei dem die Zungenspitze am Zahndamm (Erhebung hinter den oberen Schneidezähnen) anliegt, um von dort aus eine wellenartige Bewegung auszuführen.
Ein rechtzeitiger Übergang zum richtigen Schluckmuster ist wichtig!
Was passiert beim Trinken lernen mit Magic Cup und Flasche?
Zu langes Trinken aus einer Nuckelflasche oder einem Trinklernbecher kann die Entwicklung des richtigen Schluckmusters beeinträchtigen. Der Ausgießer im Mund verhindert, dass die Zungenspitze an den Gaumen andocken kann und zwingt das Kind, seine Zunge weiter nach vorne und unten zu drücken. Das Saugen am Auslauf oder der Membran eines 360° Bechers haben nichts mit einem ausgereiften Schlucken zu tun. Wie du dein Baby beim Trinken lernen unterstützen kannst, liest du in dieser Schritt für Schritt Anleitung.
Die falsche Zungenruhelage
Wo liegt deine Zunge bei geschlossenem Mund? Die richtige Ruhelage der Zunge ist oben am Gaumen. Kann sie auf Dauer nicht ihre physiologische Zungenlage oben am Gaumen einnehmen, sondern liegt stattdessen unten im Mundboden oder zwischen den Zähnen, hat das negative Auswirkungen auf die myofunktionelle Entwicklung, die Mundmotorik, die Nasenatmung und sogar Folgen für die Gesichtsform.
Fehlender Mundschluss und Mundatmung
Wenn die Zunge vorn im Mundboden ruht, senkt sich zudem die Kiefermuskulatur ab und führt typischerweise zu einer offenen Mundhaltung und zur Mundatmung. Das wiederum hat u.a. Einfluss auf die Lippen- und Wangenmuskulatur und kann sogar zu einer Gesichtsveränderung führen. Ich habe einen ausführlichen Artikel über die Risiken dauerhafter Mundatmung verfasst.
Störung der Mundmotorik
Die Zungentiefstellung und offene Mundhaltung bewirken, dass die orofazialen Muskulatur (Zunge, Lippen, Wangen) erschlafft, was sie wiederum in ihrer Kraft und Beweglichkeit einschränkt.
Kommt es zu Sprechstörungen bei Kindern?
Durch die myofunktionellen Veränderungen kann das Sprechen undeutlich werden, denn zur Bildung von Sprachlauten, benötigen wir eine präzise arbeitende Mundmotorik! Gerade für die Bildung der S-Laute ist das essentiell. "Lispeln" ist eine häufige Folge, aber neben dem /s/ können auch andere Laute betroffen sein.
Schädlich für die Zähne und den Kiefer?
Und hier sind noch zwei weitere wichtige Fakten zu diesem Thema:
1) Durch die ständige Umspülung der Zähne mit Allekohlenhydrat- oder säurehaltigen Flüssigkeiten, Saft oder gesüßter Tee, entsteht Karies und die Zähne werden geschädigt („Nursing-Bottle-Syndrom“ bzw. "Nuckelflaschen-Syndrom").
2) Statistisch gesehen verletzen sich Kinder mit harten Trink- oder Schnabelbechern häufiger! Wahrscheinlich, weil sie mit dem Becher im Mund herumlaufen. Ein Stolpern kann zu schweren Verletzungen im Mund und Gesicht führen.
Welches Gefäß ist zum Trinken lernen für Babys geeignet?
Der physiologische Übergang von Brust oder Nuckelflasche besteht darin zu lernen, aus einem offenen Gefäß zu trinken! Das Natürlichste und Beste ist daher das Trinken aus einem normalen offenen Gefäß. Espressotassen oder Schnapsgläschen sind babygeeignet. Mama und Papa können beim Halten der Tasse helfen, während das Kind kleine Schlucke seitlich vom Rand nimmt. Dadurch wird die Zunge trainiert die richtige Haltung einzunehmen. Kinderbecher mit Griffen sind praktisch, aber das Kind sollte auch die Möglichkeit haben, den Becher selbst zu halten. Daher empfehle ich gern Gefäße mit abnehmbaren Griffen. Und ich würde auf den Pop-Up-Klick bei Bechern oder Flaschen verzichte. Von der Kippneigung, der Flüssigkeitsdosierung, dem Halten, Öffnen, Drehen und Verschließen - all das ist Teil der feinmotorischen Entwicklung und wichtige Fähigkeiten für das praktische Leben. Mehr Tipps zu Trinkbecher für Babys und Kinder findest du hier.
Trinken lernen ohne Flasche und Trinklernbecher?
Ja das geht! Hast du Dein Kind gestillt, solltest Du es gar nicht mehr an die Flasche gewöhnen, sondern möglichst gleich an ein offenes Gefäß. Hat Dein Baby von Anfang eine Milchflasche bekommen hat, biete alle anderen Getränke konsequent im zweiten Lebensjahr nur in der Tasse oder im Becher an. Hier findest du eine Schritt für Schritt Anleitung wie du Dein Baby und Kleinkind sanft von der Falsche entwöhnen kannst.
Ab wann trinken Babys aus einem Trinkbecher?
Du kannst beginnen, deinem 6 Monate alten Baby während der Beikostmahlzeiten etwas Wasser anzubieten. Hier geht es nicht primär um die Flüssigkeitszufuhr, sondern darum zu Lernen, dass Getränke nicht aus der Flasche, sondern aus einem offenen Glas oder Becher kommen.
Trinkenlernen mit dem Strohhalm - ist das sinnvoll?
Als Zwischenschritt kannst du dein Kind aus einem Strohhalm trinken lassen. Du kannst den Trinkhalm anfangs kürzen, damit dein Kind nur seine Lippen darum legen, aber seine Zunge nicht darunter verankern kann. Strohhalme sind nicht nur in der Logopädie ein beliebtes Hilfsmittel. Hier findest Du meine Auswahl an empfehlenswerten Trinkbechern für Kinder.
Fazit
Trinklernbecher sind praktisch, aber nicht nötig für die gesunde Entwicklung deines Kindes! Im Gegenteil, ein übermäßiger Gebrauch kann die gesunde orofaziale Entwicklung negativ beeinflussen. Angefangen von der falschen Zungenruhelage, bis hin zur Mundatmung, einer Schluckstörung und myofunktionellen Störung bis hin zu Sprechstörungen.
Eine gelegentliche Verwendung wird die altersgerechte Mundentwicklung natürlich nicht beeinträchtigen. Wenn ihr bereits einen Trinklernbecher in Benutzung habt, nutzt ihn also wohldosiert. Beispielsweise nur wenn ihr unterwegs seid. Denke daran: Nichts Verschütten sollte nicht unser Ziel sein. Alles ist ein Lernprozess, den wir unterstützen und nicht behindern wollen! Spätestens ab dem 18. Lebensmonat wird es Zeit die Trinklernhilfe loszuwerden.
Gut zu Wissen: Bei Kinder mit besonderen medizinischen Bedürfnissen sieht das natürlich anders aus! Sie benötigen möglicherweise genau so einen Ventilbecher oder andere Hilfsmittel. Hier stehen Selbstständigkeit und Teilhabe an erster Stelle. Eine gute Logopädin wird das beste Gefäß für die Bedürfnisse Deines Kindes finden!
Ich hoffe die Informationen helfen Dir, einen ausgewogenen und achtsamen Umgang mit Trinklernbechern und Trinkflaschen zu finden!
PS. Die beschriebenen myofunktionellen Risiken und Folgen können auch auf Kinder zutreffen, die über einen längeren Zeitraum an Schnuller oder Daumen nuckeln.
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